Wir bilden uns das alles nur ein oder so
Die deutsche Zeitung “Die Zeit” hat diesen Artikel hier veröffentlicht. Darin wird u. a. angezweifelt, ob die Histaminintoleranz überhaupt existiert.
Aber lest doch einfach selbst.
Hier ist übrigens was ich der “Zeit” dazu geschrieben habe:
Liebe Zeit-Redaktion,
es hat mich gefreut, dass sich die Zeit als Massenmedium dem Thema Lebensmittelallergien und -unverträglichkeiten bzw. -intoleranzen mit dem Artikel “Lebensmittelunverträglichkeiten: Bauchgrimmen” annehmen wollte. Desto enttäuschter war ich jedoch, die Ausführungen Ihres Redakteurs zu lesen, der diesen Artikel nicht mit dem Vorsatz der Information, sondern höchstens aus einer Laune heraus verfasst haben kann.
In der Tat, ist die vegetarische oder gar vegane Ernährung zum Trend geworden, auf den auch die Lebensmittelindustrie reagiert hat. Das Kalbs-Schnitzel wird durch Tofu-Röstis ersetzt und der Hamburger wird zum Sojaburger. Typische Fleischgerichte werden umgemodelt und nicht selten wird der Verzehrer eines Wiener Schnitzels vom Vegetarier schief angeschaut. Die Essgewohnheiten einzelner werden zur Moraldiskussion anderer.
Und wer lässt sich gerne auf den Teller schauen?
Fakt ist jedoch, dass noch zu Jugendzeiten meiner Oma sowas wie ein Zwangs-Veggie-Day in Kantinen nicht nur undenkbar, sondern auch unnötig gewesen wäre. Noch vor einigen Jahrzehnten war Fleisch schlichtweg so teuer, dass man es sich nicht leisten konnte, jeden Tag Fleisch zu essen. Diverse Subventionen, aber auch billiges Fleisch – ob nun Gammelfleisch oder Fleischkleber oder … – machen es möglich, dass wir täglich Fleisch oder sowas ähnliches konsumieren können. Da sollte man also einmal schwer darüber nachdenken, warum Fleisch auf einmal so leistbar geworden ist.
Eine andere Neuerung der Industrie, die sich auf dem Teller bemerkbar macht, sind neue Importprodukte wie Soja und Palmöl. Vegetarier, die sich als Tierliebhaber und verantwortungsvolle Erdenbürger sehen, übersehen beim Tofu-Genuss den Regenwald, der dafür womöglich Platz machen musste. Soja ist ein Riesengeschäft für sogenannte “Dritte-Welt-Länder”. Erst kürzlich berichteten Main-Stream-Medien über den Soja-Skandal in Argentinien. Soja ist aber nicht nur ein Tofu-, also Vegetarier-Gemachtes-Problem, sondern Soja findet sich in den meisten Schokoladensorten, die man kaufen kann und auch in vielen Margarinen.
Ein weiteres Problem der gleichen Art ist Palmöl, das in vielen vegetarischen Produkten, aber auch in Kosmetikartikeln Verwendung findet. Auch hierfür wird der Regenwald abgeholzt. Ohnehin gefährdete Arten, z. B. Lemuren auf Madagaskar, werden in ihrem Lebensraum durch solche Monokulturen noch stärker eingeschränkt.
Vegetarier ist also nicht Vegetarier und auch Veganer ist nicht Veganer. Wenn man aus moralischen Gründen die persönliche Ernährung umstellt, dann sollte man auch über den eigenen Tellerrand hinaus schauen und auf Trendprodukte wie Soja oder Palmöl verzichten.
Doch um diese Problematik ging es dem Autor nur am Rande. Er ist allgemein von Tischdiskussionen genervt, wer nun was wie warum isst. Die sind jedoch weder ein Problem der Industrie noch der Vegetarier per se. Hier kann nur die sorgfältige Wahl des Bekanntenkreises Abhilfe schaffen. Denn nicht jeder Vegetarier oder Intolerante wischt seinen Mitmenschen seine Essgewohnheiten ins Gesicht oder verlangt das jeder andere sich auch so ernährt.
Meine eigentliche Kritik gilt jedoch den Ausführungen zum Thema Intoleranzen. Nach dem Lesen des Artikels muss ich fast froh sein, dass der Autor die Existenz von Lebensmittelallergien einräumt. Intoleranzen bzw. Unverträglichkeiten werden jedoch zutiefst angezweifelt mit der Berufung auf sogenannte Experten. Wer die sein sollen, möge man doch bitte einmal offenlegen. Glutenunverträglichkeit, Histaminintoleranz und Laktoseintoleranz existieren unabhängig von Allergien. Und nein, laktoseintolerante Menschen können keinen “normalen” Käse essen. Oder lassen Sie es mich so formulieren: Sie können schon, nur müssen sie dann mit Nebenwirkungen wie z. B. Blähungen rechnen.
Diesen Artikel mit dem Kindergartenbeispiel anzufangen, finde ich obendrein gefährlich. Eine Histaminintoleranz oder Glutenunverträglichkeit hat nichts mit Besonders-Sein-Wollen oder einem hippen Trend zu tun. Menschen, die darunter leiden, zeigen mitunter starke Einschränkungen, wenn die Unverträglichkeit nicht erkannt und behandelt wird. Diverse Magen-Darm-Störungen sowie Vitamin- und Mineralstoffmängel können die Organe auf Dauer schädigen. Migräneattacken schränken den Alltag enorm ein. Erbrechen und Übelkeit sind nicht nur unangenehm, sondern auch schmerzhaft. Kreislaufprobleme wie Herzrasen belasten den Körper etc.
In keiner Form sollte man Unverträglichkeiten verharmlosen. Insbesondere Kinder, die darauf angewiesen sind, dass Eltern mit ihnen zum Arzt gehen, wenn sie krank sind, werden durch Ihren Artikel womöglich gefährdet. Denn nachdem sich der Autor hier einmal Luft verschafft hat, hat er dafür gesorgt, dass der nächste Elternteil das Kind eventuell nicht ernst nimmt, wenn es sagt: “Mir wird immer schlecht von Tomaten (oder Salami, Käse, Milch …)”. Daher könnte ich es an Ihrer Stelle als Massenmedium mit entsprechender Reichweite nicht verantworten, derartige Fehlinformationen in Umlauf zu bringen!
Längst sind vom Arzt diagnostizierte Unverträglichkeiten keine Seltenheit mehr. Das liegt nicht nur an besseren Tests, sondern auch an der steigenden Zahl Betroffener. Die Ursachen von Unverträglichkeiten sind bis jetzt noch nicht gesichert. Doch unsere industrialisierte Ernährungsweise mit prozessiertem Essen wird wohl ihren Anteil an ihnen haben. Jahrzehntelang konnte man im Supermarkt nur Weizenmehl kaufen und hat dementsprechend auch nur Weizen gegessen. Jeder Ernährungsexperte wird sich gegen einseitige Ernährung aussprechen. Konserven, Fertig- und Aufbackwaren, 5-Minuten-Gerichte und ähnliches mehr haben unsere Essgewohnheiten revolutioniert. Doch waren diese Innovationen zum Besseren oder bescheren sie tatsächlich eher Bauchgrimmen?
Mit freundlichen Grüßen,
Eva vom Histamin-Piraten